Musik- und Sprachverstehen mit Cochlea-Implantat

Für eine höhere Klangtreue beim Musikhören verzichtete Karl-Heinz Fuchs bei der Einstellung des TEMPO+ Prozessors seinerzeit sogar auf fünf Prozent Sprachverstehen.

Eva Kohl, Clinical Engineer, MED-EL Wien

„I feel so broke up, I wanna go home!”, tönt es aus dem Lautsprecher des Mobiltelefons. Die letzten Akkorde der Beach Boys sind noch nicht verklungen, schon folgen ihnen die Stimmen von The Tremeloes. In rascher Folge wechselt Karl-Heinz Fuchs von einem Musikstück zum nächsten: „Genau so habe ich meine Audioprozessoren angepasst. Ich habe wahlweise einmal das, einmal das gehört und die Einstellung erst in groben Schritten rauf und runter variiert und dann immer feiner angepasst. Nach eineinhalb Jahren war das Musikhören dann ausgereift, da habe ich dann auch die Interpreten an der Stimme erkannt und ob es eine Originalaufnahme ist oder eine Coverversion.“

Bis der Oberösterreicher im Alter von 33 sein Hörvermögen verlor, war er ein ganz durchschnittlicher Musikkonsument. „Ich habe Musik gehört, wie sie in der Disco gespielt wurde oder im Radio kam.“ Und Radio hatte der gelernte Installateur und Schlosser recht viel, wenn er im Sommer dienstlich drei Monate in Tirol und Vorarlberg unterwegs war: „Von Bregenz bis Innsbruck und Wörgl war die Radiosendung Autofahrer unterwegs immer mit dabei, mit Rosemarie Isopp oder mit Walter Niesner als Moderatoren.“

Mit der Ertaubung war das erst einmal vorbei. Die Sehnsucht nach Musik wäre schon da gewesen, vorerst waren andere Probleme vorrangig: Dem jungen Familienvater mangelte es durch den Verlust des Hörvermögens nicht nur an Kommunikationsmöglichkeit, er litt in Folge seiner Grunderkrankung Morbus Menière auch an sehr unangenehmen Schwindelanfällen, wie er bereits in Ausgabe 60 in der Gehört.Gelesen schilderte. „In den 15 Jahren, in denen ich nichts gehört habe, war musikalisch bei mir auch Null. Der Radio war nur noch zum Abstauben da, sonst nicht nutzbar für mich.“

Wie definiert man Erfolg?

Die ersten Cochlea-Implantate ermöglichten zwar zu hören, die Klangqualität ließ aber zu wünschen übrig. „Ich habe alles irgendwie astronautisch gehört, wie die Stimmen von Aliens in den Kinofilmen“, erinnert sich Karl-Heinz Fuchs an die CIs der 80er-Jahre. Von Musikgenuss war keine Rede, beim Hörtraining an der Tiroler Sonderschule in Mils wurde trotzdem die Unterscheidung von Tonhöhen geübt. Bessere Tonhöhenerkennung sollte auch das Erkennen von Stimmen und Verstehen von Sprache verbessern.

Der Therapeut spielte am Xylophon vor, einen Ton oder eine kurze Tonfolge – und die CI-Nutzer sollten anschließend den Ton suchen. Karl-Heinz Fuchs beschreibt die damaligen Übungen heute mit einem Lachen wie eine Art Ratespiel: „Ich hatte noch das Zusatzproblem, dass mein Fazialisnerv mitstimuliert wurde. Je schneller die Musik war, desto schneller hat mein Auge gezuckt.“

Mit dem Wechsel auf das digitale Implantat 1994 war alles anders. „Damals ist die Musik zu mir zurückgekommen“, strahlt der geschäftsführende Obmann des CIA. „Ich habe sie zwar nicht so verstanden, wie ich es von früher gewohnt war. Aber als ich nach zirka sechs Monaten bei 100 Prozent Sprachverstehen war, ist auch Musik für mich wieder interessant geworden.“

Auch diesmal war es der Rhythmus der Trommel, der sich als erstes den Weg in die Wahrnehmung bahnte. „Nach einem Jahr hat es dann begonnen, dass ich auch das eine oder andere Instrument erkannt habe.“

Verseucht vom Original

„Mich hat die Musik aus der Zeit interessiert, als ich noch gehört habe. Ich hatte ja keinen Tau, was danach gekommen ist“, erklärt der Musiksammler, der mittlerweile etwa 4500 Musikstücke aus den 60er- bis 70er-Jahre als Musikfile auf USB zusammengetragen hat. „Von den Kompositionen danach sind vielleicht fünf oder sechs für mich tragbar gewesen, sonst waren es lauter Technosachen oder so, die mich nicht interessiert haben.“

„Ich bin damals zum Hartlauer gegangen und habe dort gesagt, ich möchte die oder die Schallplatte haben. Aber der junge Verkäufer dort hat gelacht: Schallplatten gibt es nicht mehr. Sie können eine CD oder eine DVD haben.“ Im Lauf von 20 Jahren hatte sich die Musikwelt verändert. Auch bekannte Musikstücke wiederzuerkennen erwies sich teilweise als schwierig. „Ich war ja verseucht von den Originalen. Jetzt waren da lauter Coverversionen.“

Musikfitting statt Musiktraining

Musiktraining wie damals in Mils hat er mit dem digitalen Implantat nicht mehr gemacht, aber mit Musik experimentiert. „Ich habe mich an die Musik herangepirscht und herausgefunden, dass die Einstellungen für Sprache und Musik unterschiedlich sind.“ Der Übertragungsbereich der Audioprozessoren war damals noch von 500 bis 5000 Hertz begrenzt, in der Einstellung für optimales Sprachverstehen fehlten die hohen Töne besonders stark – mit einem eigenen Programm für Musik hat er auch die Höhen gut wahrgenommen. „Mir war wichtig, dass ich Musik genau höre.“

„Mein Gehirn kann das nicht so schnell nachvollziehen, wenn ich umschalte.“ Auf der Suche nach „exakter Musik“, wie er sagt, hat Karl-Heinz Fuchs eine Entscheidung getroffen: „Ich habe mich gefragt, was machst du als Normalhörender mit nur einem Programm im Kopf? Ich habe auf fünf Prozent beim Sprachverstehen verzichtet, damit ich ein gemeinsames Programm für Sprache und Musik habe.“

Sammelleidenschaft

Letztens hat Karl-Heinz Fuchs, mittlerweile Großvater und Urgroßvater, sogar seine Mundharmonika wieder herausgeholt. „Ich habe das in meiner Jugend von meiner Mutter übernommen.“ Später hat er für seine ältesten Kinder gespielt – bis er ertaubte. „Nach der digitalen Implantation habe ich dann auch meinen jüngeren Kindern wieder etwas vorgespielt.“

Jetzt ist die Mundharmonika nur noch selten im Einsatz. Dafür hört der Liebhaber von Oldie-Musik umso mehr alte Schlager. „Ich habe über 20 Jahre völlig auf Musik verzichten müssen. Jetzt habe ich versucht, all die Musikstücke meiner Erinnerung, mit denen ich groß geworden bin, wieder zu organisieren. Erst als CD im Handel, dann auf iTunes. Etwa 8400 Musikstücke sind es bisher, 16,4 Gigabyte auf einem USB-Stick vereint. Doch jetzt sei vorläufig Schluss, lacht der 72-Jährige verschmitzt: „Jetzt habe ich das Passwort bei iTunes vergessen!“